ensembleleitung

Der Musiker – ein Mannschaftssportler

Hinsichtlich des musikpädagogischen Kontextes bin ich geprägt durch intensive Erfahrungen innerhalb der Musikschulprogramme in Venezuela und Ecuador, wo ich als Instrumentallehrer und Gründer einer Musikschule tätig war.

Dort existiert (notgedrungen, jedoch in eine Tugend verwandelt) kaum Einzelunterricht, die Kinder werden über ein Papierorchester an allgemeinmusikalische Inhalte herangeführt, der Instrumentalunterricht erfolgt später im Gruppenunterricht und im Ensemble.

Einen Schwerpunkt bildet daher in meinem Konzept das Ensemblespiel, welches den Musizierenden von Anfang an parallel zum Instrumentalunterricht fördern soll.


Ensemblespiel – ein hörendes Miteinander

Dieses ist vom "klassischen" Gruppenunterricht zu unterscheiden, da es die unmittelbare Erarbeitung von Literatur sowie das Erlernen kammermusikalischer Parameter impliziert - und damit zutiefst gesellschaftlich-sozial wirkt.

Als ich in Ecuador neben dem Musikunterricht auch die Fußball spielenden Jungs der Musikschule coachte, führte ich die Regel ein, dass ein neu hinzukommender Mitspieler vor dem eigenen Torabschluss einem der bereits spielenden Kameraden den Ball zupassen müsse. So wollte ich den Blick für den anderen schulen.

Auf das Ensemblespiel übertragen hieße dies beispielsweise, vor dem eigenen Solo erst einmal die Begleitung zu spielen und kennen zu lernen und die Solostimme zunächst einem der Mitspielenden anzubieten oder auch die Mitspielenden in ihrem Fortschritt zu unterstützen anstatt rücksichtslos auf das eigene Weiterkommen zu achten. So wird der Blick auf bzw. für den anderen und auf dessen Spiel geöffnet. Denn erst dann, wenn man das eigene Spiel aufgrund seiner Kompetenzen auf dem Instrument genießen kann, beginnt Ensemblespiel:

  • mit Hilfe der Partitur (Dirigentenblick) auch die anderen Stimmen kennen lernen
  • während des Spielens der eigenen Stimme auf die anderen hören und letztlich den Gesamtklang wahrnehmen (Claudio Abbados Credo des hörenden Miteinanders)
  • kurzfristig auf deren musikalische Gestaltung eingehen
  • eher "im Moment" anstatt "nach Absprache" musizieren
  • Blickkontakt pflegen

Vergleichen lässt sich dies etwa mit einem Fahrradfahrer, dessen Rad voll funktionstüchtig ist, der Rad und Stecke gut kennt, selbst ausreichend trainiert ist und sich so während der Tour auf den restlichen Verkehr und vor allem auf die Landschaft konzentrieren kann und in vollem Vertrauen auf das Fahrrad und auf seine eigenen Fähigkeiten sogar freihändig fahren kann.


Der Ensemble-Anleiter

Dieser Ansatz stellt notwendiger Weise einen ganz eigenen Anspruch an den Ensembleleiter, dessen begrifflich klare Unterscheidung von dem des Dirigenten insofern Programm ist, als er ein sehr hohes Maß an musikpädagogischen Anspruch impliziert.

So lege ich großen Wert darauf, Dirigenten als Ensembleleiter (oder sogar Ensemble-Anleiter) zu bezeichnen: Dieser sorgt durch seine Arbeit mit einem Ensemble für günstige Bedingungen. Die Bereitschaft und die daraus resultierende, wenn auch von vorn angeleitete Fähigkeit gemeinsamen Musizierens muss von den Mitspielenden selbst kommen, um wirklich kammermusikalisch wirksam zu sein.


Das Geheimnis des Begleitens von Musik

Kammermusikalisch bezieht sich hierbei unabhängig von der Größe des Ensembles auf die Art des Musizierens; kammermusikalisches Spiel ist also auch im großen Sinfonie- oder Blasorchester möglich, ja notwendig, nicht nur in Anbetracht der Tatsache, dass auch im Orchester in Bezug auf die Besetzung kammermusikalisch komponiert wird:

  • Mit wem spiele ich diese Passage zusammen?
  • Welche Klangfarbe wird also von mir verlangt?
  • Ist meine Stimme Begleitung oder im Vordergrund?

Claudio Abbado sprach hier vom Geheimnis des Begleitens von Musik: Denn aus der Kammermusik, dem prägnanten Zusammenspiel weniger Instrumente, lassen sich Gestaltungsprinzipien ins Große übertragen, auf Symphonie und Oper.

Der Fokus liegt also stets auf den Musizierenden und deren Zusammenspiel, sehr viel weniger auf dem Dirigenten – er ist der Ermöglicher, der die Musizierfreude mit den entsprechenden Kompetenzen zusammenführt, die ein sich Einbringen in das große Ganze ermöglichen.

Nicht von ungefähr berichten MusikerInnen nach ihren ersten Erfahrungen unter einer solchen Art der Anleitung von einem hohen Anspruch an den Einzelnen, da anstelle der befürchteten Kategorisierung in richtig und falsch auf einer anderen Ebene geprobt würde und die Weichen so gestellt würden, dass die Spielenden selbst aktiv werden müssten - sehr zur Förderung der individuellen Kompetenzen und deutlich hör- und erlebbar im gesamten Zusammenspiel.